Im April war ich beim Hundesymposium und mein Artikel hat etwas auf sich warten lassen, denn ich wollte das der Artikel dem Symposium gerecht wird. Und dazu brauchte ich Zeit zum Ausruhen, zum Sortieren, zum Weiterdenken.
Über 3 Tage gab es Vorträge in einem bunten Mix aus Wissenschaft, Trainingspraxis und Erfahrungsberichten.
Das Thema des Symposiums „Stress, Angst und Aggression beim Hund“.
Bewusst habe ich mir Zeit gegeben, damit sich die Dinge setzen und ich dir genau die Kernpunkte erzählen kann, die für mich ganz besonders wichtig sind.
Bevor ich dich ganz tief in die Materie mitnehme und dir berichte wie das Hundesymposium abgelaufen ist, geht mein Dank an Steffen, der mich eingeladen hat teilzunehmen und der die drei Tage mit so viel Freude und Gelassenheit gestaltet hat, das ich mich rundum wohlgefühlt habe!
(Und wenn du hier schon länger liest, dann weißt du das große Ansammlungen von Menschen nicht unbedingt mein Wohlfühlplatz Nr. 1 sind ;))
Jetzt genug der Vorrede und rein ins Getümmel.
Aggression – wo ist eigentlich das Problem?
Gesellschaftlich erwünscht scheint nur noch eine Emotion
Wir leben in einer gute Laune Gesellschaft.
Echte Emotionen über die komplette Palette, sind ungern gesehen.
Wütend sein, Angst haben, traurig sein – all das ist schon unter Menschen irgendwie manchmal schwierig. Ich übertreibe natürlich, aber am liebsten sehen wir heute nur noch die Dauergrinser und möchten gerne alles harmonisch haben.
Das übertragen wir häufig auf unsere Hunde. Ein Hund der sich nicht gesellschaftlich angemessen verhält, wird schnell als Problemhund abgestempelt. Darüberhinaus projizieren wir selbst, oder auch andere das Verhalten unseres Hundes manchmal sogar auf uns. Wie oft habe ich schon erlebt, dass Alma sich erschrocken und gebellt hat. Die meisten Menschen in meiner Nähe konnten dann nicht mehr mit einem Lächeln auf dem Gesicht an mir vorbeigehen und einen netten Gruß mitgeben. Als hätte ich sie persönlich beleidigt. Irgendwie haben wir verlernt mit Aggression umzugehen.
„Ein Hund ohne Aggression ist verhaltensgestört.“ – Gerd Schuster
Aggressionen gehören zur Kommunikation dazu. Bei Menschen, bei Hunden, bei allen Tieren.
Im Training mit meinen Kunden höre ich häufiger: „Der hat plötzlich gebissen, ganz ohne Vorwarnung.“
In den allermeisten Fällen stimmt das nicht.
Der Chihuahua, der von den Kindern der Familie regelmäßig hochgehoben wird und das jedes mal mit einem Knurren kommentiert, der hat schon vorher sehr deutlich gesagt, das er das nicht möchte. „Das Knurren ist ja so süß, ach guck mal wie er die Lefzen hochzieht, der kleine Kerl.“
Und plötzlich – beim hundertsten Hochheben, bei dem auf seine Kommunikation überhaupt nicht reagiert wurde – hat er dann gebissen. Wenn auf sein Knurren hin keine Reaktion erfolgt und ihm die Situation sehr unangenehm ist – was bleibt ihm denn dann noch?
Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten solch eine Situation zu lösen und den Hund nicht bis zur Eskalation gehen zu lassen. Gleichzeitig ist, wie in einem Streit unter Menschen, Totschweigen selten die Lösung.
Unsere Hunde kommunizieren mit uns und sie geben sich viel Mühe das für uns verständlich zu tun, wir müssen nur zuhören.
Welche Mittel zum Ausdruck hat der Hund?
Schon ohne Knurren und Bellen, zeigen Hunde so viel in ihrer Körpersprache, das ich manchmal sogar ein Video aufnehme um alles zu sehen.
Körperhaltung, Rutenhaltung, das Fell, die Art der Bewegung, die Ohren, die Augen, die Nase – alles ist im Zusammenspiel.
In der Beobachtung von Wölfen sind alle Signale die gesendet werden deutlich differenzierter und leichter zu erkennen als bei unseren Hunden. Deswegen kann man das „Lesen“ der Körpersprache an Wölfen gut üben. Schlichtweg weil den Hunden die körperlichen Möglichkeiten fehlen. Schon relativ ursprüngliche Hunderassen haben ein vermindertes Spektrum an Ausrucksmöglichkeiten im Gegensatz zum Wolf. Noch verzwickter wird es bei Hunderassen, wo wir Menschen züchterisch in die Optik eingegriffen haben.
Ein Hund mit Schlappohren zum Beispiel hat es deutlich schwerer über die Ohrenstellung klar zu machen, wie er gerade drauf ist. Ringelruten können von anderen Hunden als direkte Bedrohung eingestuft werden, Hunde mit falten auf der Nase, sehen für andere dauerhaft aus, als würden sie die Nase runzeln. Wir haben also Hunderassen, die allein aus ihrer angezüchteten Anatomie heraus, ständig in drohender Körpersprache unterwegs sind. Das dann hier und da mal ein Streit losgeht, wundert mich nicht.
Verhalten ist durch Zucht beeinflussbar
Ja! Auch die Aggressionsbereitschaft kann über Zucht beeinflusst werden.
Was bei Jagdeigenschaften und der Optik völlig klar erscheint, das wollen viele Menschen in Bezug auf die Aggressionsbereitschaft nicht wahrhaben. Doch auch hier, liegt ein Teil der Antwort in den Genen.
Natürlich bestimmen nicht allein die Erbanlagen, wie aggressiv ein Hund ist und wie er in bestimmten Situation reagiert. Es spielen ganz viele weitere Faktoren eine Rolle.
Fakt ist: würde in der Zucht weniger auf Optik und mehr auf die Charaktereigenschaften wert gelegt werden, könnte man die Bereitschaft zur Aggressivität genauso stark beeinfluss, wie die tolle Farbe, die schöne Augen und die süßen Schlappohren.
Fakt ist auch, das in einigen Ländern, genau dieses Prinzip genutzt wird, damit die Hunde ihre Schutzaufgabe wahrnehmen können. Sei es der Schutz der Herde, des Hauses oder seines Menschen.
Hunde, die dort nicht aggressiv genug sind, werden nicht weiter vermehrt, schlicht weil dann die Sicherheit gefährdet ist. Und genau diese Hunde, die seit Generationen dazu gezüchtet werden, ihrer Schutzfunktion ernsthaft nachzukommen, die werden dann über unseriösen Auslands“tierschutz“ (oder besser Tierhandel) zu uns gebracht.
Was mich schon ins nächste Thema bringt, was mir aus dem Symposium besonders im Gedächtnis geblieben ist.
Tierschutz oder Tierhandel – genau hinschauen bitte!
Wenn aus Spanien lauter „Labrador-Mixe“ kommen
Die größte Herausforderung für dich als Hundehalter, wenn du mit dem Gedanken spielst, einen Hund aus dem Auslandstierschutz zu dir zu holen, besteht in der Einschätzung seiner Verhaltensweisen. In den vielen Vermittlungsportalen überschlagen sich die Bezeichnungen der Rassen der zu vermittelnden Hunde mit den Namen, die wir hier in Deutschland kennen. Aus Spanien kommen dann ganz viele Labrador-Mixe, aus Rumänien werden angebliche Bernersennen, oder Schäferhund-Mixe zu uns gebracht.
Das Problem ist: Wenn du liest „Bernersennen Hund“, dann hast du einen freundlichen großen Kuschelbär vor Augen, der dir beim Skifahren, oder beim Grillabend, mit dem Schnapsfass hinterherläuft.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Hund aus Rumänien wirklich auch nur entfernt mit einem Bernersennen verwandt ist, geht gegen null.
Viel eher wird der Hund zu den Herdenschutzhunden gehören. Und als solcher GANZ andere Eigenschaften mitbringen, als du dir bei dem unscharfen Bild und dem herzzerreißenden Text ausgemalt hast.
Plötzlich ist da ein Hund bei dir zu Hause eingezogen, der eine riesen Individualdistanz hat. Von enger Zusammenarbeit, geschweige denn von engem Körperkontakt so gar nichts wissen möchte. Und der auch bereit ist, seinen Standpunkt mehr als deutlich klar zu machen.
Dieser Hund – der in seiner Heimat völlig selbstständig arbeitet und auf einer riesen Fläche mit entferntem Kontakt zum Menschen, seinem Job nachgeht. Der soll jetzt in einer deutschen Kleinstadt mit 3 Menschen zusammen wohnen, ständig fremden Hunden begegnen und ganz brav den Besuch ins Haus lassen. Oha!
Ein anderes Beispiel sind die vielen angeblichen Labrador-Mixe aus Spanien… Ich frag mich immer wo die herkommen sollen. Ich habe in Spanien sehr wenige Labradore gesehen und wenn, dann lebten die in Familien und gleich gar nicht auf der Straße. Die Verwunderung ist dann groß, wenn das Verhalten des Hund nicht dem eines Labradors entspricht.
Beratung braucht Sachverstand und ist aufwändig
Ich sage nicht, das es nicht möglich ist, einen Hund aus dem Ausland zu holen. ABER genau hinschauen ist angesagt. Es gibt leider viele Organisationen die sich zwar „Tierschutz“ nennen, aber eigentlich schlichtweg Tierhandel betreiben und damit richtig viel Geld verdienen. Denen ist dann auch egal, ob du am Ende Probleme mit deinem gerade eingezogenen „Labrador-Mix“ hast.
Eine seriöse Organisation wird dich vorher beraten, dir die Schwierigkeiten des Hundes erklären und dich auf den Hund vorbereiten, den du zu dir holst. Tierschutz bedeutet für eine seriöse Organisation nämlich auch, den Hund nicht einfach möglichst schnell loszuwerden, sondern in ihn das passende zu Hause zu vermitteln.
Mir ist bewusst, das gerade bei der Schulung der Helfer oft das Geld fehlt um sie entsprechend vorzubereiten, das sie jeden Fall genau einschätzen können.
Aber auch hier wurde mir auf dem Symposium bewusst, das die wirklich guten Organisationen gut untereinander vernetzt sind und sich gegenseitig sehr gut unterstützen. Nicht selten wurde von den Referenten ein „Ach ja, den Hund haben wir von Euch und ihr hattet den von uns“ eingeworfen. Das fand ich bemerkenswert.
Zwei deutsche Organisationen sind mir dabei in besonderer Erinnerung geblieben. Schlicht weil sie mit soviel Herzblut und Feuer von ihren Hunden erzählt haben, das man sie einfach mögen musste!
Aggressiven Hunden eine Chance geben – auch deutsche Tierheime können sowas!
Erfrischend, herzlich und mit beeindruckenden Geschichten ausgestattet, stellte uns Ute Heberer die Arbeit des Vereins Tiere in Not Odenwald (kurz TiNO) vor. Ich habe schon einige Tierheime gesehen und hatte eher gemischte Gefühle was das Fachwissen und den Umgang mit schwierigeren Hunden anging.
Schlicht weil das Geld fehlte um den Mitarbeitern entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Bei TiNO ist das ganz anders. Schwierige Hunde sind hier an der Tagesordnung und Ute mit ihrem Team schafft es die meisten Hunde wieder alltagstauglich zu machen. Das Besondere: die Hunde leben in Gruppen und nicht wie sonst üblich in Einzelzwingern. Und es funktioniert!
Für Hunde, deren weitere Zukunft nicht mehr in die Hände eines „normalen“ Hundehalters gehört, stellte uns Vanessa Bokr ihre „Hellhound Foundation“ vor. Mit einem offenen Herz für alle richtig krassen Fälle, führt Vanessa ihre „Auffangstation“ und bietet auch den Hunden ein zu Hause, die woanders nicht mehr angenommen werden.
Beide Organisationen platzen aus allen Nähten, einfach weil es viel zu wenig Plätze gibt, für die immer mehr werdenden „Problemhunde“. Meine Theorie – warum die Zahl der Probleme mit Hund so explodiert, erfährst du im nächsten Blogartikel.
Bis dahin, überleg doch mal, ob du vielleicht die eine oder andere Organisation mit einer Kleinigkeit unterstützen möchtest.
CANIS SYMPOSIA ist die Reise wert!
Du siehst schon es waren jede Menge Ansätze zum Nachdenken mit im Gepäck der 3 Tage Symposium.
Neben ganz viel Fachwissen, das ganz anschaulich durch die verschiedenen Dozenten transportiert wurde.
Das Symposium ist definitiv nicht nur für „Hundeprofis“ hilfreich, sondern auch für den normalen Hundehalter.
Und hier kommt die gute Nachricht: Im nächsten Jahr finden 2 Hundesymposien statt.
Bereits im Februar’19 geht das Hundesymposium Pforzheim in die dritte Runde und zwar mit dem Thema „Vom Welpen zum Senior – Stationen eines Hundelebens“. Wenn dich das interessiert, dann schau dich sehr gerne mal auf der Website von Canis Symposia um.
Im November wird das Symposium dann zum ersten Mal in Münster stattfinden. Das Thema hier: „Hormone und deren Einfluss auf unsere Hunde“.
Wer das nicht abwarten kann, für den sind in diesem Jahr noch zwei spannende Termine mit auf der Agenda – im November kannst du einen Tag lang abtauchen in die Welt von Anita Balser und direkt einen Tag danach spricht Dr. Iris Schöberl über bindungsförderndes Hundetraining.
Also wenn da nichts für dich dabei ist, dann weiß ich auch nicht. Ich kann mich gar nicht entscheiden was ich am coolsten finde!