„Mein Hund soll glücklich sein!“

Was braucht der Hund zum glücklich sein?

Wenn wir einen Hund in unsere Familie holen, dann steht ein Wunsch bei allen Menschen auf dem Zettel. Ganz gleich, welche konkreten Vorstellungen sie vom Zusammenleben mit einem Hund haben und welche Wünsche die Menschen haben: Alle wollen ein harmonisches Miteinander und miteinander glücklich sein. Wenn der Hund glücklich und zufrieden ist, können die Menschen es auch sein und umgekehrt.

Doch was braucht ein Hund eigentlich, um glücklich zu sein? Ganz schnell denkt man bei dieser Frage wieder in „Rasseschubladen“. „Du hast einen Australian Shepherd? Oha! Da bist du ja den ganzen Tag beschäftigt!“ – „Ui. Dein Garten wird ja aussehen wie ein Schlachtfeld, wenn du einen Dackel hast.“ – „Wahnsinn, wie schaffst du das nur mit zwei Jagdhunden? Das ist ja ein Fulltime-Job!“

So lauten zumindest die Aussagen, die man auf der Straße ganz häufig ungefragt präsentiert bekommt, wenn man sich mit Hundewiesenprofis unterhält.

Mir ist das viel zu spät angesetzt. Wenn wir wissen wollen, was ein Hund zum Glücklichsein braucht, dann geht es erstmal um die Bedürfnisse der Spezies Hund. Denn egal, welcher Rasse sie angehören, sie alle sind Hunde.

Und wenn ich die Bedürfnisse der Hunde kenne, dann und erst dann kann ich einschätzen, was gezüchtete Rasseeigenschaften daran an kleinen Veränderungen vornehmen. Aber die Basis sind immer die Grundbedürfnisse des Hundes.

Wenn du die kennst, dann wird dir nicht nur die Interpretation von Rasseportraits bei der Auswahl des Hundes leichter fallen. Du wirst auch viel schneller herausfinden, was dein eigener Hund braucht und wo es klemmt, wenn mal was nicht läuft wie geplant. Du wirst außerdem wesentlich besser unterscheiden können, ob eine Meinung (egal ob von Fachleuten oder Hundewiesenprofis) zu Haltung, Training oder generellem Umgang mit dem Hund zu dir und deinem Hund passt, oder ob da nur uralte Zöpfe am Leben erhalten werden. Und genau das machen wir jetzt. Wir schauen uns die Bedürfnisse der Hunde anhand der Maslowschen Bedürfnispyramide an.

Bedürfnispyramide nach Maslow für den Hund

Die Bedürfnispyramide, die ich dir gleich zeige, wurde vom Humanpsychologen Abraham Maslow entwickelt. Es hat sich herausgestellt, dass diese Hierarchie und die Grundprinzipien dieses Modells nahezu auf jedes Lebewesen übertragbar sind. Daher nutze ich sie sehr gerne, um die Bedürfnisse von Hunden darzustellen.

Die ursprüngliche Pyramide, die ich hier nutzen möchte, besteht aus 5 Stufen, die hierarchisch aufeinander aufbauen.

 

 

 

Dabei gelten folgende Grundprinzipien:

  1. Je niedriger die Stufe, desto essentieller das Bedürfnis. Die Bedürfnisse der unteren Stufen sind absolut überlebensnotwendig und bekommen daher immer Priorität.
  2. Bedürfnisse der jeweils unteren Stufe müssen zu mindestens 70 % erfüllt sein, damit die Bedürfnisse der nächsthöheren Stufe Relevanz bekommen.
  3. Selbst wenn schon alle Bedürfnisse aus allen Stufen erfüllt waren – in dem Moment, in dem ein Bedürfnis aus den unteren Stufen nicht mehr ausreichend erfüllt ist, werden alle darüberstehenden Bedürfnisse irrelevant.

 

Keine Sorge – das klingt komplizierter, als es ist. Wir steigen jetzt direkt in die Stufen ein, dann verstehst du schnell, worum es geht.

Stufe 1 – Physische Bedürfnisse

Die Basis und unterste Stufe der Bedürfnispyramide bilden die physischen Bedürfnisse. Also Bedürfnisse, die rein das körperliche Überleben sichern. Dazu gehören: Atmen, Schlaf, Nahrung, Wasser und Fortpflanzung/Körperkontakt.

Wenn eines dieser Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt ist, tritt alles andere in den Hintergrund.

Wenn ich gerade nicht atmen kann, dann kümmere ich mich ausschließlich darum, dass mein Körper wieder mit Sauerstoff versorgt wird. Wenn der Körper nicht mit ausreichend zu ihm passender Nahrung und Wasser versorgt ist und der Hund schlichtweg Hunger hat, dann interessiert ihn nicht, welche späteren Bedürfnisse da noch kommen könnten. Oder wenn im Futter Bestandteile enthalten sind, die nicht zu dem jeweiligen Hund passen und er dauerhaft Bauchschmerzen hat, wird er sich im Training nur mit viel Wohlwollen dem Menschen gegenüber konzentrieren können. Und wenn der Hund nicht genug schläft, dann kommen all die Probleme zu Vorschein die wir auch von uns kennen, wenn wir zu wenig geschlafen haben.

„Ist ja klar.“, denkst du jetzt vielleicht. Aber in der Praxis sieht es oft anders aus. Die allermeisten Probleme, die im Alltag mit dem Hund auftreten, resultieren daraus, dass Bedürfnisse auf den unteren Stufen nicht oder nicht ausreichend erfüllt sind.

Hier auf Stufe 1 zum Beispiel – eins der häufigsten Themen: Schlafmangel. Ein Welpe hat ein Schlaf-/Ruhebedürfnis von ca. 20-22 h am Tag. Und auch ein erwachsener Hund braucht noch locker 18-20 h Ruhe und Schlafzeiten, um sich zu regenerieren. Das bedeutet: Hunde müssen, um langfristig gesund zu sein, auch tagsüber schlafen können, wenn die Menschen aktiv sind. Sie müssen in der Lage sein, allen Trubel auszublenden und zu ignorieren und nicht „auf jeder Party“ mitzutanzen. Früher, als die Hunde noch ihre Jobs hatten, lebten sie selten so eng mit dem Menschen zusammen. Sie hatten Phasen, in denen sie im Einsatz waren, und den Rest der Zeit waren sie in irgendeinem Bereich/Hof/Stall für die Hunde, wo sie nicht viel Ansprache hatten. Hunde wurden also darauf gezüchtet, zu jeder Zeit auf jeden Reiz zu reagieren, damit es für uns Menschen leichter wurde, wenn wir sie brauchten. Und da die Einsatzzeiten nur kurz waren, kam der Hund trotzdem zu seinem Schlaf. Im modernen Alltag, in dem wir ganz eng mit unseren Hunden zusammenleben, müssen wir dem Hund beibringen, Reize zu ignorieren und sich zurückzuziehen, auch wenn wir wach sind, sonst schläft der Hund für seine Bedürfnisse deutlich zu wenig, denn unsere für Menschen üblichen 8 h Schlaf, sind für einen Hund nicht mal die Hälfte dessen, was er braucht.

Die Auswirkungen von Schlafmangel kennen wir alle von uns und unseren Kindern. Wer zu wenig geschlafen hat, wird reizbar, unkonzentriert, fahrig, überdreht, vielleicht sogar aggressiv. Und oft genug kommt es im Training vor, dass ein Hund, der die ganze Zeit durch die Wohnung rennt oder aggressiv anderen Hunden gegenüber wird, an der Leine zieht wie wild oder im Freilauf nur im Vollspeed unterwegs ist, eigentlich ein Schlafdefizit hat. Und wer unter Schlafmangel leidet, der braucht kein Anti-Aggressionstraining, keine ADHS-Medikamente oder mehr Wiederholungen beim Training. Wer unter Schlafmangel leidet, braucht Schlaf.

 

Auch das Thema Nahrung ist im Alltag häufiger die Ursache von Problemen, als man sich wahrscheinlich vorstellt. Es kommt immer noch vor, dass Hunde nur einmal am Tag gefüttert werden. Und ja: Es gibt Hunde, für die das passt und die gar nicht mehrmals am Tag fressen würden. Für die meisten Hunde ist einmal am Tag Nahrung zu sich zu nehmen aber zu wenig. (Welpen sollten sowieso mehrere Mahlzeiten am Tag bekommen.)

Und dann wundert sich Frauchen, warum der Hund bei ihrer Morgenrunde immer so ungehalten ist und öfter mal abhaut. „Danach gibt’s immer Frühstück, das weiß er doch. Und auf der Mittagsrunde mit Herrchen, macht er so einen Quatsch auch nicht.“ Du glaubst gar nicht, wie viele solcher Probleme schon durch Änderung solcher vermeintlichen Kleinigkeiten, wie zweimal zu füttern oder eine Veränderung der Futterkomponenten, einfach gelöst waren und gar kein Training mehr nötig war.

Und wann immer ein Trainer vorschlagen sollte, dass für das Training nötig sei, dass der Hund vorher hungert und sich sein Futter vollständig erarbeitet, dann darfst du hier ganz große Fragezeichen auspacken. Egal wie logisch man das erklären mag – das verwehren eines Grundbedürfnisses, damit der Hund sich besser an menschliche Regeln anpasst, hat in meiner Welt nichts mit wertschätzendem und partnerschaftlichem Zusammenleben und Training eines Hundes zu tun.

Es spricht nichts dagegen, dass der Hund sich einen Teil seiner Nahrung im Training mit Freude erarbeitet. Aber in jedem Fall sollte er immer auch satt werden, ohne eine Leistung dafür erbringen zu müssen.

Stufe 2 – Sicherheitsbedürfnisse

Sind die Bedürfnisse aus Stufe 1 zu einem Großteil erfüllt, d. h. der Hund kann atmen, hat ausreichend geschlafen und er hat keinen wahnsinnigen Hunger, dann kommen Bedürfnisse der Stufe 2 ins Bewusstsein. Auf dieser Stufe geht es um körperliche und seelische Sicherheit.

Und hier kann man sich gut die Grundprinzipien der Pyramide ins Gedächtnis rufen. Denn wenn die Bedürfnisse der Stufe 1 nicht erfüllt sind und der Hund schon tagelang wahnsinnigen Hunger hat, dann kann es sein, dass er auf der Suche nach Nahrung große Risiken eingeht und sein Sicherheitsbedürfnis völlig hinten anstellt.

Neben der offensichtlichen Bedeutung von Sicherheit ist hier auch hervorzuheben, dass es in unserer Welt auch darum geht, dass der Hund seine Umgebung einschätzen kann. Dass er eine gewisse Stabilität erwarten kann.

  • Eine Lebensumgebung, die nach Regeln handelt, die er vorhersehen und einordnen kann.
  • Stabilität in Abläufen oder zumindest der Umgebung oder sozialen Gruppe, zu der er gehört.

Was auf keinen Fall auf das gefühlte Sicherheitskonto eines Hundes einzahlt, ist:

  • Ein Mensch an seiner Seite, der völlig unvorhersehbar reagiert. Mal total freundlich und plötzlich wütend ist und laut wird.
  • Kinder, die den Hund auf seinem Platz schlafend mit ihrer Zuneigung überfallen.

Bei einer ganzen Reihe von Problemen im Alltag, zum Beispiel beim Alleinbleiben oder bei Aggressionen gegenüber Menschen oder anderen Hunden, ist auf dieser Stufe der Bedürfnisse die Ursache zu finden. Denn meistens reagieren Hunde aggressiv, wenn sie das Gefühl haben, sich schützen zu müssen. Dagegen dann mit Methoden zu arbeiten wie „dem Hund nur mal zeigen, wer der Boss ist“ oder zu sagen „das hat er einfach nicht zu tun“, wären Lösungsansätze, die theoretisch dann funktionieren könnten, wenn die Ursache in höheren Bedürfnisstufen liegt. Doch wenn der Hund sich unsicher – also nicht sicher – fühlt und deswegen aus unserer Sicht unerwünschtes Verhalten zeigt, dann muss auch die Problemlösung bei dieser Unsicherheit ansetzen. Nur so kann man nachhaltig und bedürfnisgerecht Verhaltensprobleme lösen.

Stufe 3 – Soziale Bedürfnisse

Auf Stufe 3 der Pyramide kommen wir langsam in Bereiche, die über die absoluten „Überlebensbasics“ hinausgehen. Allmählich geht es nicht mehr nur ums reine Überleben, sondern auch um das “Wie“.

Auf dieser Stufe finden wir die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, das Eingebundensein in soziale Strukturen, deren Regeln und Sprache man versteht.

Die soziale Gruppe eines Hundes ist seine Familie. Die Menschen und auch andere in der Familie lebende Hunde. Für den Hund ist es daher nach der Sicherstellung der Bedürfnisse der Stufen 1 und 2 wichtig, dass wir ihm geduldig erklären, wie das Leben bei uns so aussieht. Welche Regeln es gibt, was von ihm in bestimmten Situationen erwartet wird. Und natürlich auch, dass wir mit ihm eine gemeinsame Sprache entwickeln.

Stell dir vor, du steigst in den Flieger, wirst über einem Dorf im Dschungel abgeworfen und sollst ab sofort dort Leben. Nachdem du einen sicheren Ort zum Schlafen hast und die Menschen dort dir etwas zu Essen angeboten haben, was glaubst du bräuchtest du, damit du dich wohlfühlst?

Optimalerweise vielleicht jemanden, der sich dir annimmt, dich herumführt, dir zeigt, wo alles ist und der dir geduldig die ersten Worte der im Dorf gesprochenen Sprache beibringt.

Wenn du Regeln verletzt, die du noch nicht kennst, würdest du dich sicher fühlen, wenn dir jemand ruhig erklärt, wie du dich anders zu verhalten hast, statt dich anzuschreien, sobald du einen Schritt in die falsche Richtung machst.

Die ersten Wochen werden sehr anstrengend sein, weil du ständig auf Situationen triffst, bei denen du unsicher bist, wie du damit umgehen sollst. Je länger du da bist, desto seltener werden die Momente, in denen du Unterstützung brauchst.

Ungefähr so geht es auch deinem Hund.

Stufe 4 – Individualbedürfnisse

In Stufe 4 kommen: Wertschätzung, Vertrauen, Erfolgserlebnisse, Freiheit und Unabhängigkeit.

Ganz genau wie du wird auch dein Hund richtig strahlen können, wenn es jemanden gibt, der ihn sieht. Mit allem, was er ist. Wenn jemand ihm echte Wertschätzung entgegenbringt, statt ihn als Befehlsempfänger zu betrachten. Auch ein Hund freut sich, wenn er Erfolgserlebnisse hat, wenn er Herausforderungen bewältigt, die vorher noch schwierig waren. Schon über die Art des Trainings können wir hier viel dafür tun, dass dieses Bedürfnis befriedigt wird. Und zwar, indem wir den Fokus darauf legen, was der Hund gut macht. Statt nur dann mit ihm zu kommunizieren, wenn etwas falsch läuft. Dazu später mehr.

Freiheit und Unabhängigkeit sind Begriffe, über die Menschen manchmal stolpern, wenn es um Hunde geht. Bei uns selbst ist uns klar, dass das wichtig für uns ist. Wir wollen für uns selbst entscheiden, auch mal Fehler machen dürfen. Wir wollen unser Leben so gut es geht selbst bewältigen können, unabhängig von der Unterstützung anderer.

Und auch wenn die meisten unserer Hunde nicht so starke Individualisten sind wie viele Menschen, so brauchen sie trotzdem auch ein Stück weit eigene Handlungsfähigkeit. Das betone ich deshalb besonders, weil Hunde in unserem Menschenalltag üblicherweise nicht besonders viel selbst entscheiden. Wir bestimmen den Tagesablauf. Wann, wo und wie lange spazieren gegangen wird. Und oft auch, was der Hund dabei tun und lassen darf. Wir entscheiden, wann und was er zu Fressen bekommt. Wir geben die Regeln des Zusammenlebens vor. Im Grunde ist der gesamte Alltag des Hundes durch uns fremdbestimmt.

Wenn wir nicht darauf achten, dass es auch Momente gibt, an denen ganz bewusst der Hund entscheiden kann, dann wird er es irgendwann in Situationen tun, wo es uns gerade gar nicht passt.

Dabei ist es meist gar nicht schwer, dem Hund auch solche Auszeiten zu ermöglichen. Ein Spaziergang, bei dem der Hund entscheidet, wo der Weg langgeht. Auf dem nicht trainiert und geübt wird, auf dem er einfach nur gemeinsam im Trödeltempo die Gerüche auf einer Wiese erkundet und so lange an einem Grashalm schnüffelt, wie er möchte.

Stufe 5 – Selbstverwirklichung

Und da sind wir bei Stufe 5 angelangt. Hier geht es um das Entfalten des eigenen Potentials, um die Nutzung der eigenen Talente. Für Hunde im Grunde darum, dass sie das, was sie besonders gut können, auch in ihrem Leben zeigen können.

Genau wie bei uns Menschen auch, kommt dieses Bedürfnis meist dann zum Vorschein, wenn alle anderen Bedürfnisstufen bereits zu einem großen Teil erfüllt sind.

Erst auf dieser Stufe unterscheiden sich die Bedürfnisse der Hunde, je nachdem welcher Rasse sie angehören. Einfach deshalb, weil die Rasse bestimmte Talente des Hundes wahrscheinlicher macht. Wer einen besonders guten Geruchssinn hat, hat Freude daran, Fährten zu verfolgen oder Gerüche bewusst unterschieden zu lernen. Und er wird darin besser sein als ein Hund, dessen Geruchssinn nicht so stark ausgeprägt ist. (Im Vergleich zu dem des Menschen ist dieser natürlich trotzdem noch um ein Vielfaches besser.)

Der Optimalfall ist natürlich, dass ein Hund auch die Bedürfnisse der 5. Stufe in seinem Leben erfüllen kann. Doch – genau wie bei uns Menschen auch – selbst wenn die eigenen Talente nicht besonders im Vordergrund stehen und „nur“ die Bedürfnisse bis Stufe 4 erfüllt sind, dann geht es einem schon richtig gut und das Leben kann wundervoll sein. Was meinst du, wie viele Menschen in ihrem Leben und mit ihrem Beruf jemals auf einem Level ankommen, auf dem die Bedürfnisse der ersten vier Stufen so gut erfüllt sind, dass sie sich Gedanken um Stufe 5 machen? Wahrscheinlich ist das ein Bruchteil der Gesellschaft, der hoffentlich mit der Zeit immer größer wird. Aber es heißt auch, dass ein Hund, der nicht jeden Tag und jeden Monat seines Lebens mit der Ausübung und Förderung seiner individuellen Talente verbringt, sehr glücklich sein kann.

Was wir von der Pyramide lernen können

Diese Pyramide kann natürlich niemals das gesamte Leben und jeden individuellen Hund abbilden. Es ist eine Hilfestellung, ein Gedankenansatz. Und doch kann sie uns im Alltag eine Große Hilfe sein. Denn es gibt so viele hartnäckige Mythen, oder uralte Trainingsansätze – die schlichtweg nicht mit den Bedürfnissen der Hunde arbeiten, sondern vor allem das Ego des Menschen befeuern.

Meistens, wenn dem Hund Machtstreben, bewusstes „ich will dominieren“, oder ähnliches Verhalten vorgeworfen wird, geht das einher mit der völligen Ignoranz der unteren Bedürfnisstufen. Der Hund wird damit nicht mehr für sich betrachtet. Es geht dann nicht darum, sich zu fragen – „Warum tut er das wirklich und wie kann ich ihm helfen, sich (auch für die Menschenwelt) angemessener zu verhalten?“, sondern viel eher darum das menschliche Machtstreben, die eigene Dominanz und den Führungsanspruch geltend zu machen. Dabei schließen sich unsere Hunde uns so gern freiwillig an (ohne dass wir „ihnen zeigen wo ihr Platz ist“), wenn wir Menschen sie nur verständnisvoll und verlässlich führen.

Auch, wenn alle möglichen Verhaltensprobleme über Auslastung gelöst werden sollen, hat das meistens nicht viel mit dem eigentlichen Bedürfnis des Hundes zu tun. Versteh mich nicht falsch: Regelmäßige Ansprache, gemeinsame Abenteuer und neue Fähigkeiten entdecken gehören natürlich zu jedem glücklichen Hundeleben dazu. Aber das Hobby für den Hund was wir häufig als die unumstößliche heilige Auslastung ansehen, ist eben genau das: Ein Hobby. Optional. Wenn alle anderen Bedürfnisse erfüllt sind, kann man sich darüber Gedanken machen. Sie sind nur ganz selten die Ursache für ein Verhaltensproblem. Denn das Hobby steckt in der Bedürfnispyramide in Stufe 5 drin – da wo es um die Entfaltung der eigenen Talente geht. Probleme entstehen in 99% der Fällen aber dann, wenn es in den unteren Pyramidenstufen „klemmt“.

Und auch beim Thema: „Das ist aber ein Dackel (beliebige Rasse einsetzen), der MUSS ja ausgiebig Buddeln (beliebiges rassetyisches Verhalten einsetzen) damit er glücklich ist.“ spiele ich häufiger den Spielverderber in der Diskussion. Und du weißt jetzt auch schon warum. Denn ja: auch wenn der Dackel gerne buddelt. Er ist trotzdem ein Hund, dessen erste 4 Bedürfnisstufen mit Bedürfnissen gefüllt sind, die allen Hunden gleich sind. Wenn dieser Dackel nicht genug schläft, sich unsicher fühlt, oder keine klare Familienstruktur kennt – dann brauche ich über das dackeltypische Bedürfnis noch gar nicht nachzudenken.

In der Praxis erlebe ich es so oft, dass die ersten vier Bedürfnisstufen mit dem Argument der jeweiligen Rasse depriorisiert werden. „Ja, ich weiß, dass Hunde viel Schlaf brauchen. Aber das ist ein Dalmatiner, die MÜSSEN schließlich viel laufen.“. Und genau das ist der Punkt, an dem Probleme anfangen: Wenn die Bedürfnisse des Hundes zu Gunsten der Bedürfnisse der jeweiligen Rasse vergessen werden.

Sobald wir anfangen die Bedürfnisse wieder in ihrer eigentlichen Reihenfolge zu sehen, fällt es uns viel leichter die richtigen Prioritäten zu setzen. Wir können besser darüber entscheiden welchen Tipp wir annehmen und welchen nicht. Welches Problem mit dem Hund das dringendere ist – wo wir anfangen sollen zu trainieren, wenn es alles zu viel erscheint. Und damit das besser anwenden kannst, folgen jetzt ein paar typische Fragestellungen, die sich mit Hilfe der Pyramide beantworten lassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

100 Probleme – welches zuerst?

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der Hund kann nicht alleine bleiben. Er zieht an der Leine wie verrückt. Der Rückruf klappt nicht. Er kommt überhaupt nicht mit anderen Hunden klar. Drinnen läuft er dir auf Schritt und Tritt hinterher. Warten kann er überhaupt nicht aushalten. Wenn er sich vor etwas erschreckt, dann ergreift er oft die Flucht und vergisst alles um sich herum.

Ganz schön viel auf einmal? Jep. Auf jeden Fall.

Unser menschlicher Ansatz bei solchen „Problemsammlungen“ ist oft, mit dem Problem zu beginnen, was für UNS am unangenehmsten ist. Sagen wir, dich nervt es wahnsinnig, dass dein Hund wie verrückt an der Leine zieht. Und du fängst mit dem Training an. Vielleicht kriegt ihr es soweit hin, dass ohne Ablenkung und mit voller Konzentration aufeinander, die lockere Leine schon ganz gut klappt. Aber sobald eine mini Ablenkung dazukommt, scheint alles wieder vergessen. Spätestens wenn ein anderer Hund auf der Bildfläche auftaucht, hängt dein Hund wieder mit voller Kraft in der Leine und bellt. Du denkst: Mist… Wir brauchen eine andere Methode für die Leinenführigkeit. So klappt das nicht. Und das spiel geht von vorne los. Vermutlich wirst du auch mit der 5. Methode keinen Erfolg haben.
Warum? Weil das Training der Leinenführigkeit zwar eine gemeinsame Kommunikation zwischen euch aufbaut (bestenfalls). Gemeinsame Kommunikation, Zugehörigkeit, Wertschätzung und Erfolgserlebnisse werden beim Training gefördert. Das gehört in die Stufen 3 und 4. Liegt die Ursache aber in den Stufen darunter, kann keine Trainings-Methode für Leinenführigkeit dieser Welt langfristig erfolgreich sein.

Wenn du vor so einer Problemsammlung sitzt, dann frage dich: Welches der Probleme (oder dessen Ursache) liegt am weitesten unten in der Pyramide. Und beginne damit. In der Problemsammlung von oben, wäre das sehr wahrscheinlich „zu wenig Schlaf“ (Indiz: ständig hinterherlaufen, nicht warten können, schnell auf Reize reagieren). Ich würde also zuerst hier ansetzen und dafür sorgen, dass die Bedürfnisse der Stufe 1 erfüllt sind. Danach weiter mit Stufe 2. Den dort platzierten Sicherheitsbedürfnissen würde ich – weil es in der Mehrzahl der Praxisfälle dort die Ursache hat – das Hundebegegnungsthema und auch das „nicht allein bleiben können“ zuordnen. Das Gute dabei: Wenn ich Stufe 1 Bedürfnisse schon bearbeitet habe, dann weiß ich auch, dass aus der Stufe bei den anderen „Baustellen“ keine Ursachen mehr übrig sind. Wir lösen also mit gutem Training auch diese beiden Themen, indem wir dem Hund ganz viel Sicherheit geben.

Nun sind schon „nur noch“ ein Bruchteil der ursprünglichen Probleme übrig. Leinenführigkeit und Rückruf. Die Basis ist geschaffen, der Hund kann sich wahrscheinlich schon viel besser draußen konzentrieren, lässt sich nicht mehr so leicht ablenken und fühlt sich mit dir super sicher. Wenn du jetzt ein sinnvoll aufgebautes Training für Leinenführigkeit und Rückruf aufnimmst, wirst du vermutlich sehr gute und nachhaltige Ergebnisse erreichen.

Mein Hund frisst draussen alles? Was ist zu tun?

Wenn ein Hund sich wie ein Staubsauger verhält und alles frisst, was er zwischen die Zähne kriegen kann, dann gibt es auch wieder hunderte möglicher Trainingsansätze. Welcher davon dann für den eigenen Hund passend ist, gilt es herauszufinden. ABER – wenn ein Kunde mit solch einem Problem zu mir kommt, dann geht mein Fokus zuerst auf die unteren Bedürfnisstufen.

Stufe 1: Hat der Hund ausreichend und zu ihm passende Nahrung? Oder sind Futterkomponenten enthalten, die ihm Probleme bereiten. Ist der Darm gesund? Gibt es andere gesundheitliche Probleme im Verdauungstrakt? Zwei banale Beispiele:

Meine Hündin Alma hat in den letzten Jahren mit guter Regelmäßigkeit immer dann, wenn der Herbst kam und die Temperaturen kälter wurden, angefangen draußen regelrecht nach essbarem zu suchen und alles kopflos zu verschlingen, was sie finden konnte. Ansprechbarkeit, Rückruf, Entspannung – Fehlanzeige. Im ersten Jahr hat es ca. 4 Wochen gedauert bis ich verstanden hatte, warum sie das macht, im nächsten nur noch 2 Wochen und mittlerweile erkenne ich den Grund sofort, wenn das Verhalten wieder los geht. Der Grund ist völlig banal. Alma braucht mehr fett im Futter, wenn es kälter wird. Wir passen das Futter an und stellen auf „Winterkost“ für Alma um und schon können wir wieder entspannt spazieren, ohne dass sie ständig auf der Suche nach Nahrung ist.

Ein Labrador meiner Kunden hat immer Hunger. Und nicht nur „ich könnte nochmal einen Keks essen“ – Laune, sondern wirklich HUNGER. Das ist nicht schön für ihn. Die Menschen haben mit ihm von Welpenbeinen an „Anti-Giftköder-Training“ gemacht. Eigentlich konnte er das auch ganz gut. Aber im Alltag vergaß er das immer wieder mal. Ich sollte nun den Knackpunkt im Trainingsaufbau finden und neue Ansätze einbringen. Und auch hier starte ich nicht mit dem Training. Sondern mit dem Bedürfnis. Dieser Hund hat, bevor wir das Training verändert haben, erstmal eine Umstellung von Futterzeiten und Inhalten bekommen. So, dass er mit vollem Bauch und satt (so gut „satt“ für seine Verhältnisse eben möglich war), zum Spaziergang losgegangen ist. Danach haben wir das sowieso schon begonnene Training nochmal aufgenommen und einfach wieder ins Gedächtnis gebracht. Und heute ist es in den allermeisten Fällen kein Problem mehr. Hier war nicht das vorherige Training unvollständig oder fehlerhaft. Der Aufbau war gut, der Hund hatte verstanden worum es ging. ABER er hatte einfach Hunger. Und Hunger schlägt als Stufe 1 Bedürfnis jedes erlernte Verhalten, wenn man Futter direkt vor der Nase hat.

Mein Hund ist aggressiv gegenüber anderen Hunden, warum macht er das?

Wenn du noch gar keine Idee hast, wo das eigentliche Problem deines Hundes liegt, dann nimm dir die Pyramide und geh die Bedürfnisse von unten nach oben durch.
Auf der untersten Stufe, die du als Ursache für (und sei es nur entfernt) möglich erachtest, fängst du an, Ursachenforschung zu betreiben und von unten nach oben in den Stufen auszuschließen. Meistens findest du die ersten Kernprobleme schon auf den ersten beiden Stufen.

Bei Aggression wäre es zum Beispiel folgendes:

Stufe 1: Könnte es sein, dass mein Hund so leicht reizbar ist, weil er viel zu wenig schläft? Wäre es möglich, dass mein Hund Schmerzen hat und sich deshalb andere Hunde möglichst weit auf Abstand halten will? Reagiert er so stark, wenn es um Ressourcen wie zum Beispiel Futter geht (bei Hunde aus dem Ausland, die richtigen Hunger kennen, kommt das ab und an vor)?

Wenn Stufe 1 Bedürfnisse als Ursache ausgeschlossen werden können, suchst du weiter in Stufe 2. Gibt es schon bei Stufe 1 einen Treffer, gilt es zuerst diese Bedürfnisse zu erfüllen und dann weiter zu gehen.

Stufe 2: Kann es sein, dass dein Hund sich unsicher fühlt und nicht genau weiß, wie er sich in Begegnungen freundlich verhalten soll? (Auf diesem Punkt sagen jetzt bitte alle Hundehalter, die das Problem haben: „Ja, das wäre möglich.“) Hat er schon mal schlechte Erfahrungen (im Sinne von „sich nicht wohl fühlen“, nicht nur „wurde vom anderen Hund attackiert“) in Begegnungen gemacht?

Tatsächlich steigt das Begegnungstraining sinnvoller weise spätestens an dieser Stufe ein. Denn selbst ein Hund, der nach außen total selbstsicher aussieht und sich nicht offensichtlich „ängstlich“ verhält, ist innerlich meistens eben genau das, geht mit dem Problem aber anders um, als ein Hund der lieber die Flucht ergreift. Warum das so ist, liest du auch im Artikel über die 4 Problemlösungsstrategien unserer Hunde.

Wenn nach dem Training, was den Fokus darauf setzt dem Hund Sicherheit zu vermitteln und Problemlösungskompetenz aufbaut immer noch Probleme (meistens sehr viel geringer/seltener als vorher) in Hundebegegnungen auftreten, dann kann es sein, dass Stufe 3 auch eine Rolle spielt.

Stufe 3: Fremde Hunde gehören nicht zur Familie deines Hundes. Soweit so klar. Dementsprechend gibt es auch keine klaren Abläufe und unter den beiden Individuen und kein klares Rollenverständnis. Insbesondere wenn zwei „junge Wilde“ aufeinander treffen, die den Punkt nicht finden an dem man auch mal klein bei gibt, kann es dann schonmal zu Kompetenzgerangel kommen. Auch gerne bei unkastrierten Rüden und läufigen Hündinnen in der Umgebung.

Stufe 4: Individualbedürfnis, Erfolgserlebnisse, Wertschätzung. Auch hier kann – aber nur sehr selten als alleiniger Grund für unangemessen aggressives Verhalten – eine Ursache liegen. Manchmal haben wir versehentlich als Mensch ein solches Verhalten gefördert. Zum Beispiel indem wir den Hund unwissentlich haben üben lassen, wie „toll es ist“ und wie stark er sich fühlt, wenn man den anderen Hund „untergebuttert“ hat. Bei (Welpen-)Spielgruppen, die nicht fachgerecht geführt werden, kommt das leider häufiger vor. Alle Hunden spielen ja so schön. Nur ist das manchmal für die Hunde keine Spiel- sondern eine Mobbinggruppe. Die eine Hälfte der Hunde lernt zu mobben, die anderen gemobbt zu werden. Beide Gruppen haben von entspannten Begegnungen nichts gelernt.

In Stufe 5 liegt nur sehr selten die Ursache für Probleme in Begegnungen. Seine Talente nicht auszuleben, oder nicht sein volles Potential zu entfalten, lässt weder Mensch noch Hund aggressiv auf Artgenossen reagieren. Das Problem von Hundebegegnungen also mit mehr Auslastung lösen zu wollen. Naja: Wenn es geklappt, sag mir Bescheid. 😉 Ich hab noch keinen Fall gesehen, der das langfristig so geschafft hat.