Die Kunst des Trödelns

Der Mensch bepackt mit Dummy, Futter, normaler Leine, Schleppleine und anderen Utensilien für den Hund.
Der Hund rast von einer Seite des Weges zur nächsten und scheint sowieso nur ein Tempo zu kennen – SCHNELL.
Die Pupillen geweitet und leise fiepend vor lauter Nervosität und Spannung wann der Mensch nun endlich das Spaßprogramm startet. Der Mensch beschleunigt seinen Schritt um möglichst bald mit dem Dummytraining starten zu können, damit sich der Hund endlich entspannen kann.

So oder ähnlich beobachte ich täglich Menschen beim Spaziergang mit ihrem Hund. Wenn das Mensch und Hund wirklich Spaß macht, super, dann ist das genau richtig. Häufig wird so ein Programm allerdings nur deswegen aufgezogen, damit der Hund entspannen kann. Das wird zur schnell Last, denn „der Hund muss beschäftigt werden“. Aus dem eigentlichen Plan gemütlich im Einklang mit dem Hund und der Natur vom Alltagsstress abzuschalten, wird dann irgendwie nur noch ein „to do“ mehr auf der unendlichen Liste.

Ich möchte dir heute einen weiteren Weg zeigen, wie du Draußen zu mehr Entspannung mit deinem Hund kommen kannst. Der Trödelspaziergang!

Die Vorteile eines Trödelspaziergangs im Vergleich zum vollen Entertainment für den Hund

Damit du besser nachfühlen kannst, was im ruhigen Tempo mit dem Körper deines Hundes passiert, folge mir doch mal gedanklich in folgende beiden Situationen.

  1. Es ist kurz vor acht, bevor die Geschäfte schließen musst du unbedingt noch etwas einkaufen, damit der Kühlschrank gefüllt ist. Du hetzt dich ab und läufst so schnell du kannst zum Supermarkt. Unterwegs überholst du genervt einige Menschen die langsamer sind als du. Als du die Straße überquerst, läufst du fast vor ein Auto, weil du es in deinem Tunnel gar nicht wahrgenommen hast. Völlig abgehetzt kommst du im Laden an, arbeitest stur deine Einkaufsliste ab und zahlst auf den letzten Drücker. Für deine Mitmenschen oder die Umgebung hast du keine Aufmerksamkeit übrig. Das Telefongespräch am Ohr ist zwar irgendwie immer präsent und du antwortest hin und wieder, bekommst vom eigentlichen Inhalt nichts mit und bist überrascht als dein gegenüber dir eine Frage stellt. Die Einkäufe nach Hause schleppen, auspacken und endlich zu Hause sein. Entspannt bist du jetzt sicher nicht. Dein Puls ist hoch, deine Muskulatur angespannt, deine Atmung flach, deine Wahrnehmung fokussiert und eingeschränkt. Bis du zur Ruhe kommen kannst, wird es heute Abend noch einige Zeit dauern.
  2. Heute hast du genügend Zeit um einzukaufen. Auf dem Weg zum Supermarkt genießt du das kitzeln der Sonnenstrahlen auf deiner Nase und nimmst ganz bewusst die Geräusche um dich herum wahr. Du bleibst stehen um den Kindern des Nachbarhauses beim Zeichnen auf dem Gehweg zuzusehen und bist fasziniert von deren Hingabe für das was sie gerade tun. Du gehst ganz bewusst und spürst wie dein Körper sich bewegt, wie die Füße den Boden berühren, deine Arme mitschwingen und du kannst immer befreiter Atmen. Im Supermarkt angekommen nimmst du dir Zeit dich inspirieren zu lassen und kaufst ein wonach dir gerade ist. Ein kurzer Plausch mit der Verkäuferin bringt dich auf eine super Idee für dein Abendessen und du freust dich riesig das heute Abend zu kochen.Auf dem Rückweg lässt du deinen Tag revue passieren und spürst wie nach und nach alle Anspannung des stressigen Tages von dir abfällt. Zu Hause kochst du etwas schönes für dich und genießt deinen Abend in absoluter Entspannung.

Konntest du dich gut hinein versetzen? Gut, dann werfen wir jetzt gemeinsam einen Blick darauf, wie es deinem Hund in ähnlichen Situationen geht.

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sowohl in Spaziergängen als auch zu Hause.




Reize aufzunehmen und zu verarbeiten ist für deinen Hund deutlich leichter beim Trödeln

Gehst du sehr schnell und möchtest möglichst weite Strecken mit deinem Hund laufen, so nimmt er auf diesem weiteren Weg zwangsläufig deutlich mehr Reize wahr als bei einem langsamen Spaziergang. Wie beim Autofahren die Bäume an dir vorbeihuschen, so geht es deinem Hund mit all den Reizen um ihn herum. Sowohl Gerüche, als auch optische und taktile Reize strömen auf ihn ein. Alles geht so schnell, dass zwischendurch keine Zeit bleibt um die Reize auch zu verarbeiten.

Beim Trödeln hingegen hat der Hund ausreichend Zeit um sich – im wahrsten Sinne – mit jedem Grashalm einzeln zu beschäftigen. Die Anzahl der neuen Reize ist sehr viel geringer als wenn dieselbe Zeit in hohem Tempo gelaufen wird. Dadurch ist gleichzeitig genügend Raum um die neuen Informationen direkt zu verarbeiten und im Hirn abzuspeichern. So ein Spaziergang ist quasi eine direkte mentale Trainingseinheit. Wer glaubt, der Hund wäre nach so einem Spaziergang nicht müde, irrt gewaltig. Die körperliche Beanspruchung ist zwar bei weitem nicht so hoch wie beim schnellen Tempo, allerdings sind alle Sinnesorgane und die Denkleistung beim Trödeln deutlich mehr gefordert.

Den Körper entspannen, statt noch mehr anfeuern

Auch körperlich hat das Trödeln Auswirkungen auf den Körper, die der Entspannung deutlich zuträglicher sind als so ein richtiger „Sportspaziergang“.

In langsamem Tempo und mit bewusster Wahrnehmung auf seine Umgebung, beginnt der Hund automatisch auch seinen eigenen Körper bewusster wahrzunehmen. Plötzlich spürt er Veränderungen im Untergrund und geht mit Bedacht. Der Puls verlangsamt sich, die Muskulatur lockert sich und Adrenalin kann besser abgebaut werden. Zudem wird ein Hund, der so mit sich selbst im Kontakt ist, von sich so verhalten, dass Verletzungen so gut wie ausgeschlossen sind.

Wohingegen ein Hund nach langem Ballspiel auf der Wiese selten noch auf sich achtet und häufig über seine körperlichen Grenzen geht. Das was wir eigentlich vermeiden wollen – ein Hund der unter Adrenalin steht – das fördern wir mit hektischen Spaziergängen. Mehr Adrenalin, mehr Anspannung, mehr Hektik, weniger Ruhe.

Mein Hund rast? Wie fange ich an mit dem Trödeln?

entspannt draußen gassigehen Hundeerziehung Hundetraining zappelhund hyperaktiv Hund langsamSchlage ich einen Trödelspaziergang bei meinen Kunden vor, höre ich häufig: „Das ist ja alles schön in der Theorie, aber mein Hund rennt von alleine die ganze Zeit wie verrückt geworden rum, der kennt gar keine Ruhe“.
Genau der letzte Teil des Satzes ist das Stichwort. Ruhe darf erlernt werden, wenn der Hund nie einen anderen Spaziergang kennengelernt hat als mit voller Action durch die Landschaft zu pflügen, dann wird die Umstellung von jetzt auf gleich unmöglich. Gerade deswegen ist es gut, auch eine zweite Möglichkeit zur Verfügung zu stellen als immer nur „Tür auf und volle Power an“.

Es kommt hier nicht darauf an wieviel Strecke ihr lauft und ich verspreche dir, dein Hund wird dir nicht die Wohnung zerstören, nur weil er mal einen Tag keine 5km gelaufen ist. Mach dich frei von „der muss aber“ und dem Gedanken an eine bestimmte Strecke. Gerade im Sommer sind die schönsten Zeiten mit meiner Hündin wenn wir uns in den Wald setzen, sie um mich herum die Gegend erkundet und wir anschließend gemütlich wieder nach Hause gehen.

Und so gehts los – genieß es – viel Spaß dabei

Zu Beginn ist es hilfreich ihr sucht euch eine Umgebung wo wenig los ist. Ständige neue Spielpartner oder starke Ablenkungen sind für den Anfang schlicht nicht händelbar, wenn die Ruhe im Vordergrund stehen soll. Ein weitläufiger Waldweg oder eine Wiese eignen sich prima um mit dem Trödeln anzufangen.
Du kannst deinen Hund Ableinen, sofern er nicht „Leine ab“ mit sofortigem losrennen verbindet. Sollte das noch so sein, dann führe ihn lieber an einer langen Leine. Das Ziel soll sein, dass ihr beide gemeinsam miteinander schlendert. Jeder kann sich seinen Interessen zuwenden, aber ihr könnt euch auch gemeinsam spannende Dinge ansehen.

Nimm bewusst deine Umgebung wahr, schau dir das Gras und die Bäume an, beobachte wie die Wolken vorbeiziehen. Entspann dich und genieße die Natur. Gehe langsam, aber anfangs noch in einem Tempo in dem dein Hund gut mit entspannen kann. Für viele zappelige Hunde ist es zu Beginn schwer auszuhalten richtig langsam zu gehen, oder sogar stehen zu bleiben. Diese Zeiten solltest du dann sehr kurz halten und nur gelegentlich mit einstreuen. Auch wenn dein Hund an der Leine zieht, wird er nach einiger Zeit im Trödeltempo besser auf dich achten. Du kannst auch unvorhergesehene Wege einbauen und musst nicht immer strikt von A nach B laufen.

Lass einen Tödelspaziergang immer mal wieder einfließen und du wirst merken wie gut der euch Beiden tut und wie müde dein Hund trotz wenig körperlicher „Action“ danach ist.

Zum Weiterlesen und Relativieren

Wenn du weiterlesen möchtest zu den Auswirkungen von „Auspowern“ und warum das keinen Hund ruhiger langfristigmacht – empfehle ich dir folgenden Artikel. 3 Gründe warum „Auspowern“ deinen hibbeligen Hund nicht ruhiger werden lässt.

 

Noch eines zum Schluss. Ich möchte mit dem Artikel in keiner Weise sagen, dass es keine actionreichen Spaziergänge geben soll. Wenn dein Hund und du daran Spaß haben, dann los geht’s. Was ich möchte ist, eine weitere Option zu zeigen und zu sensibilisieren, warum die Action (als alleiniges Heilmittel und Dauerlösung) nicht vorteilhaft für echte Entspannung ist. Zu einem ausgeglichenen Hundeleben gehört sowohl Entspannung, als auch Anspannung. Möchte ich allerdings einen sowieso schon unter Strom stehenden Hund etwas entspannter haben, so ist es nicht besonders logisch, das ausschließlich über noch mehr Anspannung erreichen zu wollen. 🙂