Stell dir folgende Situation vor:
Du machst einen gemütlichen Spaziergang mit deinem Lieblingsmenschen, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, der Bach rauscht leise neben euch. Ihr biegt auf einen häufiger genutzten Weg ein. Dank des großartigen Wetters haben sich viele Menschen darunter auch einige Familien mit ihren Kindern auf den Weg gemacht.
Einige Meter hinter euch läuft ein Paar mit einem Kind auf einem kleinen Roller. Das Kind jauchzt vor Freude und ahmt lautstark Fahrgeräusche nach. Du schmunzelst – wie toll die Welt doch war, als du dir mühelos nur mit deiner Fantasie einfach eine eigene Welt um dich herum erschaffen hast.
Die Familie kommt näher und das Kind düst haarscharf an dir vorbei, bleibt plötzlich stehen um seiner Mutter etwas zuzurufen. Du bleibst ruckartig stehen um es nicht umzuwerfen. Zwischen euch quetscht es sich durch um wieder zu seinen Eltern zurückzufahren. Das Spiel wiederholt sich, nur diesmal fährt das Kind leider von hinten in deine Beine, weil es den Blick woanders hingerichtet hat. Du versicherst dich, dass es dem Kind gut geht, reibst deine Beine mit leisem Schmerz – das wird wohl ein blauer Fleck.
So geht das weiter, immer und immer wieder steht dir das Kind im Weg, fährt in dich rein, oder brüllt hinter dir plötzlich laut los. Die Eltern reagieren nicht. Sie finden das offenbar lustig. Nach einer Weile bist du genervt, bleibst stehen und möchtest die Familie vorbeilassen, damit sie nicht mehr hinter euch sind.
Im Vorbeilaufen gibst du den Eltern zurück: „Es könnte auch mal ein Mensch dabei sein, der das nicht so witzig findet und ungehalten reagiert.“.
Die Antwort der Mutter lautet darauf: „Ach, das macht nichts, das muss er lernen. Dann kriegt er eben mal eine drauf.“
Absurd, oder?
Und doch ist mir genau das – nur mit Hundekindern, statt Menschenkindern – schon häufiger passiert.
Meist war nicht nur ich die „Leidtragende“, sondern auch mein Hund.
Welpenerziehung ist Gemeinschaftssache
Ganz klar: Bei Menschen, wie bei Hunden – ursprünglich war Kindererziehung eine Gemeinschaftssache.
Die sichere Gemeinschaft sorgt dafür, dass der Nachwuchs in die Regeln der Gruppe eingeführt wird und sich zu einem passenden Mitglied der Gesellschaft entwickelt. So funktioniert das System reibungslos und bleibt überlebensfähig.
Somit müsste es doch eigentlich völlig in Ordnung sein, die Verantwortung für die Erziehung einfach an die anderen zu übertragen, oder? Es ist ja nur natürlich. Völlig normal, dass auch alle Anderen mit erziehen und nicht nur die engste Familie?
Super, wenn der Welpe auf möglichst viele fremde Hunde trifft, die ihm dann schon die Meinung sagen werden?
Perfekt – so lernt er wenigstens sich zurückzuhalten und die anderen Hunde werden ihm das schon beibringen!
NEIN – denn die Betonung liegt auf Gemeinschaft, sprich einer Gruppe von Menschen oder Hunden, die sich einander zugehörig fühlen, die füreinander sorgen um gemeinsam ihr Leben zu sichern und sich zu helfen.
Ein fremder Hund, den ein Welpe auf der Straße trifft, gehört genauso wenig seiner Gemeinschaft an, wie die 100 anderen Menschen denen du auf dem Spaziergang begegnest zu deiner Familie gehören.
Fremde Hunde haben in der Erziehung des Welpen NICHTS zu suchen!
Du sollst deine Kinder durch deine Freunde erziehen lassen. (F.W. Nietzsche)
Welpenschutz, gibt es nicht außerhalb der eigenen Gruppe
„Macht nix, der ist noch so klein, der hat noch Welpenschutz.“ – NE! Falle. Den Welpenschutz pauschal gibt es nicht. Viele Hund haben eine größere Toleranzschwelle den jungen Wilden gegenüber, allerdings nur dann wenn sie sich auch angemessen Verhalten. Innerhalb der eigene Familie, sind die Bestrebungen den Nachwuchs freundlich aber bestimmt in die richtigen Bahnen zu lenken, natürlich sehr hoch.
Wenn in der Natur wilde Hundegruppen aufeinandertreffen, dann ist der Nachwuchs in Gefahr und nicht bei Nachbars eingeladen auf ein lustiges Spiel.
Natürlich (und für einige Welpen glücklicherweise) gibt es Hunde, die so freundlich und mit einer Engelsgeduld gegenüber den Welpen ausgestattet sind, dass sie auch fremde Welpen mit Ruhe und Konsequenz an die höflichen Verhaltensweisen heranführen.
Diese Hunde wären perfekte Begleiter für einen jungen Hund.
Meine Alma, so wie die meisten anderen Hunde, ist eher überfordert mit der Situation. Wenn ihr der Welpe zu wuselig wird und sie nicht genau weiß wie sie ihn stoppen kann, wird sie für den Welpen sehr plötzlich ungehalten. Eine ganze Weile geht das gut und sie versucht irgendwie die Begegnung aufzulösen, aber es gibt immer den Punkt an dem es ihr zu viel wird.
Wenn ich nicht vorher eingreife und ihr helfe, dann kriegt der Welpe irgendwann eine sehr rabiate Reaktion ab, die er gar nicht einordnen kann.
Alles was das Hundekind dabei dann lernt ist: Andere Hunde sind gefährlich, die kann man nicht einschätzen.
Ich wette 10 zu 1, dass eben dieses Hundekind später mal Probleme hat in Begegnungen mit fremden Artgenossen.
Nun greife ich ein, weil ich das weiß – aber wieviele Hundehalter sind dazu nicht in der Lage? (An der Stelle übernehme ich dann die Erziehung des Welpen, setze ihm eine Grenze und komplimentiere ihn in sicheren Abstand … Eigentlich nicht meine Aufgabe.)
Hundekontakte sind wichtig, aber es sollten die richtigen sein
Vielleicht denkst du jetzt: Na super, wenn der Welpe fremde Hunde nicht Kennenlernen darf, dann hat er erst Recht keine Chance das richtige Verhalten zu lernen.
Stimmt. Gar keine Kontakte sind nicht hilfreich für den Lernprozess.
Wie immer im Leben und auch in der Hundehaltung gilt: Qualität vor Quantität.
Der Welpe muss nicht jede Woche 10 neue Hunde kennenlernen, damit er lernt wie man sich verhält. Es reicht völlig, wenn es 2-3 freundliche und doch konsequente Hunde gibt, mit denen der Welpe sich ausprobieren und mit denen er lernen kann. Und bei den Anderen: da darf er lernen, dass man beim Spaziergang auch einfach an anderen Hunde vorbeigehen kann, ohne „Hallo“ zu sagen, oder sofort ein Spiel anzufangen.
Die Verantwortung für die Erziehung eines Welpen, liegt nur bei seinem Menschen
„Macht nichts, dann kriegt er eben eine drauf, dass muss er Lernen.“ Bei diesem Satz stehen mir aus so viele Gründen die Nackenhaare zu Berge.
Was genau soll der Hund denn Lernen – andere Hunde sind unberechenbar, immer wenn ich andere Hunde treffe wird’s unangenehm? Super Erfahrung für so einen Zwerg…
Mal abgesehen davon, dass der Welpe dann nicht das lernt, was die Menschen erwarten, dass er lernt. Mit diesem Satz geben sie die Verantwortung für die Welpenerziehung an den anderen Hund und seinen Menschen ab. Das mag ja ok sein, wenn das abgesprochen ist.
Aber wenn ich einfach nur gemütlich spazieren gehen möchte und in 10min wieder zurück sein will um den nächsten Termin wahrzunehmen, dann möchte ich diese Verantwortung nicht haben.
Dazu kommt, dass auch der erwachsene Hund, wenn er solange belästigt wird, dass er dann eine deutliche Ansage macht, sich damit nicht wohlfühlt.
Wer also möchte, dass sein Welpe die Erfahrungen macht, die hilfreich für ihn sind, der kümmert sich am besten selbst darum. Natürlich ist das nicht einfach und es wird auch nicht in jedem Moment sofort gelingen. Für mich ist es eine Frage des Respekts, diesen Part nicht pauschal und ungefragt auf fremde Menschen oder Hunde zu übertragen.
Finde ich jedenfalls 😉
Wie sind deine Erfahrungen dazu, hast du sowas schonmal erlebt?
Wie kommt dein Hund mit ungestümen Welpen klar?
Erzähl mir gern in den Kommentaren davon!